Der Einsatz von Hypnose in der Zahnheilkunde hat eine lange Geschichte. Die erste Dokumentation geht zurück bis in das Jahr 1765. In den „gelehrten Beiträgen“ zu den Braunschweigischen Anzeigen vom 27. Juli 1765 erschien ein Bericht über „neue Versuche, in Curirung der Zahnschmerzen, vermittels eines magnetischen Stahls“.
In diesem Artikel beschreibt der Autor wie er innerhalb weniger Minuten erfolgreich die „Stahlkur“ zur Heilung von Zahnschmerzen anwandte „ohne, daß sich solche von neuen einfanden“. Ein weiterer, oft zitierter Fall einer Zahnextraktion unter Hypnose wurde von Jean-Victor Oudet, einem Pariser Arzt, im Jahre 1836 vorgenommen. West beschreibt in einer Veröffentlichung von 1836 eine Zahnextraktion unter Hypnose bei einem zwölfjährigen Mädchen. Während bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine hypnotische Schmerzausschaltung im Vordergrund des Interesses stand, erweiterte sich parallel zur Entwicklung der modernen Lokalanästhetika das Indikationsspektrum der Hypnose in der Zahnmedizin.
Eine Behandlung der Gesichts- bzw. Mundhöhlenregion birgt unter anderem aufgrund eines besonders dicht innervierten und hoch emotional besetzten Behandlungsgebietes sowie einer permanenten Unterschreitung der Individualdistanz während der Behandlung besondere psychische Belastungen in sich. Jöhren und Sartory gehen davon aus, dass lediglich 20-30 % aller Patienten angstfrei zu einer zahnärztlichen Behandlung erscheinen. Internationale Studien belegen seit über 50 Jahren, dass 46-59 % aller Patienten erhebliche Angst vor einer zahnärztlichen Behandlung verspüren und bis zu 27 % der Patienten als hoch ängstlich gelten. Je nach Autor und Studie leiden bis zu 11 % aller zahnärztlichen Patienten unter einer manifesten Zahnbehandlungsphobie, also unter einer schweren, die Persönlichkeit des Patienten dominierenden psychischen Reaktion.
Einsatzgebiete von Hypnose in der Zahnärztlichen Praxis
Zahnbehandlungsangst
Auf Patientenseite ist die Zahnbehandlung ungeachtet aller technischen und pharmakologischen Fortschritte für die meisten Menschen immer noch ein sehr unangenehmes Ereignis. Schlechter Schlaf in der Nacht vor dem Termin, Appetitlosigkeit, Engegefühle und Verkrampftheit im Körper belasten viele Patienten schon bei der Vorstellung einer zahnärztlichen Behandlung. Ausgelöst werden diese Angstreaktionen häufig durch frühere Erfahrungen mit (zahn-) ärztlichen Tätigkeiten, die durch Vorstellungsbilder geradezu mittelalterlicher Horrorszenen noch verstärkt werden. Selten werden dabei die tatsächlich zu erwartenden Situationen richtig eingeschätzt, es genügen die mitgebrachten Phantasien oder die Erzählungen anderer, selbst die einfachste Behandlung zu Streß werden zu lassen.
Ein mögliches Verfahren zur Stressreduktion und zum Angstabbau ist die „Klinische Hypnose“. Das psychologische Verfahren nutzt Suggestionen (lat. suggerere: einflüstern, eingeben) zur Aktivierung einer speziellen Veränderung des Bewusstseinszustandes des Patienten während einer Behandlung. Ziel einer solchen, vom Patienten aktiv hervorgerufenen und vom Zahnarzt unterstützten „Trance“ ist eine unterschiedlich intensive Abkoppelung von der Behandlungssituation mit körperlicher und geistiger Entspannung.
Hypno-Anästhesie / Hypno-Analgesie
Der Einsatz von Hypnose zur Erzeugung von Analgesie bzw. Anästhesie (Schmerzfreiheit/Taubheit) hat gegenüber der chemischen Anästhesie viele Vorzüge. Sie erzeugt keine chemische Taubheit, die die Patienten noch Stunden nach der Behandlung beeinträchtigt, die Aussprache behindert oder die Gefahr von Bissverletzungen der Wangenschleimhaut beinhaltet; sie vermeidet pharmakologische Risiken, wie z.B. allergische Reaktionen; und sie vermeidet die oft gefürchtete Nadel. Eine ausreichende Hypno-Anästhesietiefe z.B. für chirurgische Eingriffe wie Kieferoperationen oder das Setzen von Implantaten kann in ungefähr 20?30 % der Bevölkerung erzielt werden. Als unterstützende Maßnahme zur chemischen Anästhesie kann dadurch die benötigte Betäubungsmittelmenge deutlich verringert werden.
Extraktionen, Wurzelkanalbehandlungen, tiefe Füllungen und Zahnfleischbehandlungen können für den Patienten deutlich entspannter ablaufen, wenn einfache Induktionen und Suggestionen für Taubheit und Entspannung eingesetzt werden. In der Praxis kann die sog. Handschuhanästhesie, ein hypnotisch hervorgerufenes Taubheitsgefühl der Hand, herbeigeführt werden. Dieses taube Gefühl der Hand wird dann durch Berührung auf die zur Behandlung vorgesehenen Bereiche übertragen. Auch die durch die Hypnose hervorgerufene körperliche und geistige Entspannung mit der darauf zurückzuführenden Verringerung der Behandlungsangst, hebt die Schmerzschwelle spürbar an.
Blutungskontrolle
In der Literatur sind viele Falldarstellungen zu finden, wie Hypnose zur Verminderung einer Blutung nach chirurgischen Eingriffen eingesetzt worden ist. Einige Berichte beschreiben, dass es bei hypnotisierten Patienten nach chirurgischen Schnitten zu einer bemerkenswerten Blutleere gekommen sei. Nachblutungen nach einer Zahnentfernung können durch direkte Suggestionen „und stell jetzt die Durchblutung ab!“ bei hypnotisierten Patienten deutlich vermindert werden.
Zähneknirschen / Kiefergelenksbeschwerden
Die Folgen von nächtlichem Knirschen und Pressen können u.a. Muskelschmerzen, Kiefergelenksbeschwerden und Zahnhartsubstanzverluste bis hin zur Schädigung des Zahnnervs sein. Mögliche Ursachen für diese Symptome können eine fehlerhafte Verzahnung oder ein auch lange zurückliegender Unfall sein. Das Zähneknirschen kann auch Ausdruck von Anspannung oder Angst sein. Hypnose kann hier eingesetzt werden, um die Fähigkeiten des Patienten zu Entspannen zu verbessern und/oder mit seinen Ängsten besser umzugehen. Progressive Muskelentspannung mit der Betonung der Kaumuskulatur bzw. der Schulter- und Nackenmuskulatur bringt ebenfalls spürbare Erleichterung. Suggestionen, die Zähne immer leicht außer Kontakt zu halten, können in hypnotische Entspannungsprogramme integriert werden. Hypnose kann einen deutlichen Beitrag im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungskonezptes von Bruxismus leisten.
Würgereiz
Der Würgereiz ist primär ein Überlebensmechanismus, der dafür sorgt, dass nichts unangenehmes oder gefährliches heruntergeschluckt oder eingeatmet wird. Bei vielen Patienten ist dieser Reflex jedoch überempfindlich und hindert daran, notwendige zahnärztliche Behandlungen durchführen zu lassen oder eine wirksame Mundhygiene zu betreiben. Hypnose kann den Würgereiz durch verschiedene Strategien verkleinern. Suggestionen von Gelassenheit und Entspannung, insbesondere der Zunge, können dem Patienten helfen den Würgereiz zu beherrschen. Auch die Kombination von Akupunktur und hypnosuggestiver Kommunikation hilft oftmals. Die Aktivierung spezieller Akupunkturpunkte kombiniert mit hypnosuggestiver Kommunikation führt häufig zu erstaunlichen Ergebnissen und ermöglicht Behandlungen, die sonst aufgrund des Würgereizes unmöglich wären.
Kinderhypnose
Ebenfalls sehr erfolgreich kommt die Hypnose in der Kinderbehandlung zum Einsatz. Kinder, speziell im Vor- und Grundschulalter, können sehr leicht in Trance gehen, da sie im Umgang mit Trancezuständen sehr erfahren sind. Ein Großteil ihres Spielens findet in Phantasiewelten statt, in die sie genauso leicht hinein- wie hinausgehen. Diese Fähigkeiten der Kinder lassen sich nutzen, um eine, für alle Beteiligten nicht nur stressarme, sondern positiv-humorvolle, von Empathie geprägte Behandlung durchzuführen. Kinderhypnose ist gekennzeichnet durch einen liebevollen Umgang mit Kindern. Die Kinderhypnose unterscheidet sich von der Erwachsenenhypnose vor allem durch eine altersgerechte Begrifflichkeit und Bildersprache. Kinder lieben konfuse, verrückte und verzauberte Geschichten. Auch können einfache Hilfsmittel, wie die „Zaubermöwe“ oder Hand- bzw. Fingerpuppen helfen, die kleinen Patienten von der Behandlung zu dissoziieren. Kinder können sogar mit offenen Augen in tiefe Trancezustände gehen und sogar sprechen ohne die Trance damit zu unterbrechen. Eine Tranceinduktion ist für ein Kind ein Spiel, dem es gerne folgt, wenn das Spiel spannend ist und Spaß macht.
Was machen also Hypnose-Zahnärzte bei Kindern anders als gewöhnliche Zahnärzte? Sie denken anders. Zahnärzte, die Hypnose in der Kinderbehandlung einsetzen freuen sich auf jedes Kind. Für sie gibt es keine unbehandelbaren oder schwierigen Kinder. Kinder sind höchstens interessant, manchmal auch hochinteressant oder präkooperativ. Das Denken prägt das Handeln und Vorannahmen bestimmen Ergebnisse…
Hypnose-Zahnärzte reden auch anders. Instrumente und Materialien werden z.B. mit kindgerechten, bildhaften und positiv besetzten Bezeichnungen versehen. Das Ätzgel wird zum Zahnshampoo, die Spritze zur Kügelcheneinfüllmaschine und der Rosenbohrer zum Marienkäfer, der im Zahn krabbelt. Hypnose-Zahnärzte behandeln Kinder anders. Mit hypnotischen Techniken wird die zahnärztliche Behandlung von Kindern zum Vergnügen und die Zahl von „interessanten“ und „hochinteressanten“ Kindern sinkt stetig .
Methoden der Hypnose
Bei der insbesondere durch den amerikanischen Psychiater Milton Erickson (1901-1980) maßgeblich beeinflussten modernen medizinischen Hypnose kommen Auto- und Fremdsuggestionen zum Einsatz. Ohne das bislang eine abschließende wissenschaftliche Erklärung für das Zustandekommen von Trancezuständen gefunden werden konnte, lassen sich durch die von Erickson formulierten Techniken bei bis zu 90 % der Patienten unterschiedlich tiefe Trancezustände hervorrufen. Trance ist ein völlig natürliches Phänomen und wird seit altersher und in vielen Kulturen weltweit auch dazu benutzt, um zu heilen – sich selbst oder andere. Über Hypnose und Trance wird seit vielen Jahren intensiv geforscht. Speziell über den Einsatz von Hypnose in der Zahnheilkunde sind in jüngster Zeit in Deutschland zwei Habilitationen geschrieben worden.
Durch Hypnose als spezielle Kommunikationsform wird der Patient in angenehmer Weise körperlich und geistig entspannt. Er liegt mit geschlossenen Augen auf dem Behandlungsstuhl, seine Muskeln sind locker, er gibt – bildlich gesprochen – den Mund zur Reparatur ab. Er ist mit seinem inneren Erleben z.B. mit einem schönen Urlaubsaufenthalt oder anderen positiv besetzten Erinnerungen auf das Angenehmste beschäftigt, reagiert aber auf Ansprechen und behält seine natürlichen Reflexe. Der Patient ist nicht „weg“ in einem wie auch immer definierten Nirwana, sondern erlebt die Behandlung dissoziiert, wie durch einen Nebel quasi aus einiger Entfernung. Patienten beschreiben ihre Wahrnehmungen von der zahnärztlichen Therapie mit Formulierungen wie: „Ich habe schon mitbekommen, dass Sie meinen Zahn präpariert haben. Aber es war mir nicht so wichtig. Es war irgendwie weit weg von mir.“ Ein weiterer angenehmer Nebeneffekt einer Behandlung unter Hypnose: das Trance-Phänomen der Zeitverzerrung. Die subjektiv empfundene Zeit einer hypnotisierten Person ist sehr oft wesentlich kürzer als die tatsächlich vergangene Zeit. Häufig wird die Dauer einer z.B. zweistündigen Präparationssitzung auf Nachfragen mit empfundenen 45 Minuten angegeben. Eine Besonderheit, die ja gerade in der Zahnarztpraxis nicht von Nachteil ist.
Das Gelingen einer Hypnose-Induktion hängt nicht davon ab wie der Hypnotiseur eine Trance induziert, sondern steht und fällt mit der Fähigkeit und Bereitschaft des Patienten, sich zu entspannen und in eine Trance zu gehen. Kein noch so rhetorisch versierter Hypnotiseur wird bei einem Patienten Trance induzieren können, wenn dieser dazu nicht bereit ist. Eine zentrale Aufgabe des Behandlers ist es, einen kommunikativen Rahmen zu schaffen, der es dem Patienten ermöglicht eine Trance zuzulassen. Hierbei spielen u.a. die Aufklärung über Hypnose-Mythen, die Vorstellungen des Patienten wie eine Hypnose abläuft und das Vertrauen in die Kompetenz und Seriösität des Behandlers eine wichtige Rolle.
Bei einer an der Universität in Lübeck durchgeführten Studie zur allgemeinen Akzeptanz der Hypnose bei Mund-,Kiefer- und Gesichtschirurgischen Eingriffen lehnten lediglich 6 % der befragten Patienten den Einsatz von Hypnose ab, während ihn zwei Drittel der Befragten als sehr sinnvoll bzw. grundsätzlich sinnvoll hielten. Über 75 % der Patienten in dieser Studie glauben, das Hypnose eine Bereicherung der medizinischen Therapie darstellt. Nur 1,6 % der Befragten sahen dies anders. In einer Studie des Autors zur patientenseitigen Akzeptanz von Hypnose in der allgemeinen Zahnarztpraxis mit über 1.100 Teilnehmern weist die überwiegende Mehrheit zahnärztlicher Patienten eine offene bzw. positive Einstellung zur Hypnose auf sowie eine beachtliche Motivation klinische Hypnose bei medizinischen und zahnmedizinischen Behandlungen in Anspruch zu nehmen.
Schlussfolgerung
Zahnärztliche Behandlungen egal ob mit oder ohne Lokalanästhesie verursachen häufig großen Stress und/oder Angst. Die moderne medizinische Hypnose stellt einen Weg dar, die zahnärztliche Behandlung für Arzt, Mitarbeiter und Patienten zu einer möglichst positiven Erfahrung werden zu lassen.
Quelle: Autor: Christian Rauch – jameda.de